Konzert, Radiokomposition und Publikation bilden drei Teile dieser musik- und klangbezogenen Arbeit:
Cobourg Nets
Nach Leichhardt ist auch ein schillernder Grashüpfer benannt, der in einer der indigenen Sprachen als Alyurr bezeichnet wird und auf das Blitzwesen Namarkkon verweist, das auch in den mindestens 27.000 Jahre alten Höhlenmalereien auf dem Arnhem Plateau erscheint. Auf dem Field Trip schlief ich unter freiem Himmel, besuchte berühmte Felsmalereien im Kakadu-Nationalpark, begutachtete Fundstücke an den Küstenstränden und Objekte in den Ruinen von Victoria, sammelte Klänge und Fotos, recherchierte zur Geschichte und zur Ökologie Cobourgs. Ich führte Gespräche mit Rangern, mit Expert*innen zu indigenen Wissenssystemen, etwa über Pflanzen und Nahrungsmittel, sowie mit Insektenkundler*innen und anderen Wissenschaftler*innen und Künstler*innen. Ich besuchte Naturkundemuseen in den großen Städten Australiens und führte die Erkundungen in Berlin fort, wo Objekte von Leichhardts Reisen in botanischen und anderen Sammlungen gelandet sind. Anknüpfend an Leichhardts Grashüpfer recherchierte ich Insektenklänge in weltweiten bioakustischen Archiven – Insekten, die faszinierend vielfältig und elektronisch lauten, als aktuelle Metapher des Fernen, Unbekannten und Fremden, gleichzeitig des Kleinen und Marginalisierten. Dieses Material bildet den Ausgangspunkt für die musikalische und künstlerische Auseinandersetzung mit verschiedenen Wissensformen und -systemen: naturwissenschaftliches Wissen, indigenes Wissen (von „grounded and ex-centric knowledge“ spricht ein Text des in Darwin lehrenden Sprachwissenschaftlers Michael Christie über Yolgnu/Aboriginal Thinking), künstlerisches Wissen, „situated knowledge“, das heißt Wissen durch Anwesenheit an einem Ort, Wissen durch Erfahrung und Erfahrungen, gemeinschaftliches und persönliches Wissen sowie vor allem über Klang vermitteltes Wissen („sonic knowledge“). Das ganze Projekt beschäftigte mich über zweieinhalb Jahre, in denen sich auch bei mir viel Wissen ansammelte: Erfahrungen, die ich während der Reise und durch die Lektüre davor und danach machte, sowie Erkenntnisse und Überlegungen, die durch den Austausch mit Kolleg*innen, Musiker*innen, Wissenschaftler*innen aus Australien und in postkolonialen und ökologischen Diskussionszusammenhängen hier in Deutschland entstanden. Dieses Wissen bildet nun den Umraum der musikalischen Komposition und gehört zum Gesamtprojekt. Das Projekt manifestiert sich in vier verschiedenen Formaten: Die Reise nach Australien war für mich in all ihren unterschiedlichen Erfahrungsweisen kunstbasierte Forschung, die sich in den acht Tagen des Field Trips von Darwin nach Cobourg zu einer existentiellen Erforschung des eigenen Hörens und Zuhörens verdichtete. Fundamental war die Erfahrung, auf der Erde liegend, nur von einem Moskitonetz geschützt, zu hören. Hier habe ich zwar nicht den Inhalt der Sprache der Insekten verstanden, aber gehört und verstanden, dass sie kommunizieren. Das Cobourg Projekt ist eine Arbeit, die Fragen des heutigen postkolonialen Diskurses konkret auf eine Situation, einen historischen Zusammenhang, eine ortsspezifische Erfahrung bezieht. Wer spricht, wer darf für wen sprechen? Sleeping on the Ground at Cobourg ist eine Arbeit aus europäischer und bewusst subjektiver Perspektive. Die Fragen, um die es geht, stehen im größeren Kontext eines anderen Umgangs mit ökologischen Systemen und einer Neuorientierung von westlich geprägter Ökonomie und Ökologie, deren Notwendigkeit die mit europäischen Denk- und Machtweisen zusammenhängende Klimakrise deutlich macht. Die Feuer in Australien zum Jahreswechsel 2019/20 – also am Ende des Jahres der Cobourg-Reise – zeigten die globale Verflochtenheit dieser Fragen überdeutlich. |