<<

dies, sagt sie (gemeinsam mit Katharina Höcker)
Sprach-Klang-Komposition in vier Teilen

Dies, sagt sie: Unter diesem so weitgefaßten wie konkreten Titel haben sich die Komponistin Kirsten Reese und die Schriftstellerin Katharina Höcker im Sommer 2003 zu einem Arbeitsprozeß zusammengefunden, der zunächst in seinem Ausgang notwendig offen bleiben mußte. Als Crossover-Projekt, das sich von vornherein als gemeinsam konzipiertes und ausgeführtes Werk verstand und damit tatsächlich die Grenzen zwischen Wort und Klang überschritt, konnte nur die unmittelbare Arbeit im Studio erweisen, welche ästhetischen Felder sich jenseits der Grenzen öffnen. Am Ende dieses Prozesses steht nun eine 40minütige Sprach-Klang-Collage.

Als Ausgangspunkt und zugleich roter Faden dieser in vier Abschnitte gegliederten Komposition diente ein Textkonvolut von Katharina Höcker, das sich im weitesten Sinne mit dem Phänomen des (biographischen) Erinnerns befaßt. Die verschiedenen Schichtungen nachzeichnend, in denen sich das Erinnern zurückliegender Lebensabschnitte vollzieht, bedient sich der Text in seinen vier Teilen unterschiedlichster Formen: vom losen Assoziieren über protokollarisch notierte Alltagswahrnehmungen und fragmentarische Erzählsplitter bis hin zur literarisch ausgearbeiteten Kurzprosa spannt sich auf der Textebene ein Bogen, in dessen Zentrum allmählich das fragile, immer zwischen Narzißmus und Selbstzweifel schwankende Bildnis einer an der Schwelle zum Erwachsensein stehenden jungen Frau erscheint.

In überraschend ähnlicher und zugleich ganz anderer Weise hat auch Kirsten Reese ihr Klang-, Geräusch- und Tonmaterial ausgewählt, das in die Komposition eingeflossen ist: Erinnerungsspuren, die sich als akustische Phänomene unterschiedlichster Art auf alten Kassetten wiederfanden, darunter O-Tonaufnahmen (u.a. von Aufenthalten in China und auf den Philippinen in den 1980er Jahren) und musikalische Fragmente (z. B. erste live-elektronische Experimente mit der Flöte in den frühen 1990er Jahren). Die Klänge fügen sich im bewußt eingesetzten Rauschen der mangelhaften Aufzeichnungsqualität zu einem ebenso anderen wie ähnlichen „Jugendbildnis“.

Diese beiden unterschiedlichen Quellen miteinander korrespondieren lassend, entwickelten die Komponistin und die Schriftstellerin in der gemeinsamen Arbeit eine neue, die jeweiligen Grenzen überschreitende dritte Ebene: eine Komposition, die den von Katharina Höcker selbst gesprochenen Textstrang mit den akustischen Erinnerungsspuren von Kirsten Reese durchsetzt, um im Rahmen der elektronischen Bearbeitung zu einem Sprach-Klang-Gewebe zu gelangen, das nicht mehr eindeutig zuzuordnen ist. Verfremdete, überlagerte, verzerrte, unkenntlich gemachte Wörter umkreisen jenen Punkt, an denen das sinnhaft Gesprochene in die Dimension des reinen Klanges übergeht. Zugleich führen diese Exkurse auf die andere Seite der Grenze immer wieder zum linear gesprochenen Text zurück, der wiederum vom zweiten Strang der Erinnerung - dem akustischen Archivs Kirsten Reeses - durchbrochen, ergänzt, verstärkt oder überlagert wird.